Sechs lächerliche Lektorats-Mythen im Check oder Schluss mit Vorurteilen und Schauermärchen
Lektorat – was ist das? Wer sich mit Texten befasst, selbst schreibt, kann diesem Begriff kaum entkommen. Muss man auch nicht. Ein Lektorat ist keine Mordwaffe, Lektor*innen sind keine Serienkiller, die Romane oder Sachbücher auf dem Gewissen haben. Das ist die harmlose Variante dieses Bildes. Man könnte drastischer formulieren, denn so manches Gerücht über das Lektorat entwirft ein regelrechtes Horrorszenario für Autor*innen. Völlig zu Unrecht. Eigentlich ist bei guter Zusammenarbeit zwischen Autor*innen und Lektor*innen das Gegenteil der Fall: Bücher oder andere Texte können zum Strahlen gebracht werden. Poetisch könnte man sagen, dass das Lektorat die schlummernden Lebensgeister erweckt.
Egal, wie man es ausdrückt, mein Ziel ist klar. Mit meinem Beitrag möchte ich versuchen, das Genre, das viele Lektorats-Mythen heraufbeschwören, ein für alle Mal zu wechseln. Mit Angst und Schrecken soll aufgeräumt werden. Die haben im Zusammenhang mit Lektorat nichts zu suchen. Rein gar nichts. Ein wohlig warmes Gefühl darf sich ausbreiten, die Gewissheit, etwas Wundervolles geschafft zu haben, wenn Sie die Früchte der Zusammenarbeit mit dem Lektor / der Lektorin sehen. Ein Happy End also, nicht zwangsläufig im romantischen Sinne. Realistisch nüchtern, überbordend laut oder einfach nur kitschig. Ein Happy End jedenfalls.
Dieses Happy End wird möglich, weil das Lektorat ganz anders ist, als es die Mythen und Gerüchte so zeichnen. Neugierig, welcher Blödsinn so kursiert?
„Lektorat schaut nur auf Tippfehler“
Lektor*innen suchen für ein Lektorat nur Tippfehler und Ähnliches: Dieses Missverständnis hält sich hartnäckig. Viele verwechseln vermutlich Fachbegriffe. Es kann vorkommen, dass einem nicht bewusst ist, dass Korrektorat und Lektorat zwei unterschiedliche Aufgabengebiete sind. Sie sind zueinander vielleicht wie Mandarinen und Pomelos, wie Cashewkerne und Walnüsse; zumindest im weiten Sinne. Sie schauen jedenfalls anders aus, es gibt wichtige Unterschiede trotz der Verwandtschaft.
Diese möchte ich genauer unter die Lupe nehmen:
Exkurs: Korrektorat versus Lektorat 101
Ausschließlich mit Rechtschreibung und Grammatik beschäftigt sich das Korrektorat. Das Lektorat setzt tiefergehende Schwerpunkte. Lektor*innen befassen sich mit Ausdruck, Aufbau, Logik, Stimmung und anderen Elementen, die für ein außergewöhnliches Leseerlebnis eines Textes wichtig sind. Manchmal werden die Analyseebenen (Satzebene/Ausdruck, Textebene/Plot, Aufbau etc.) getrennt, ein Fokus gesetzt – im englischen Sprachraum wird noch klarer zwischen den verschiedenen Arten des Lektorats unterschieden. Es kann daher sein, dass es vielfältige Angebote mit konkreten Kernaufgaben gibt.
Aber ich schweife etwas ab, denn der wichtigste Punkt ist: Lektorat und Korrektorat sind zwei Paar Schuhe. Das eine: ein edles, das wie angegossen passt und für unzählige Komplimente sorgt. Das andere: ein praktisches, das keine Mängel hat und daher nicht negativ auffällt.
(Anmerkung: Manche Lektor*innen setzen diese Trennung ganz präzise um. Korrektorat ist reines Korrektorat, Lektorat reines Lektorat ohne Prüfung der korrekten Sprachverwendung. Bei manchen Angeboten kann ein Lektorat ein Basiskorrektorat beinhalten. Ich tendiere zu dieser Auffassung. Mir fällt es schwer, Grammatik- oder Rechtschreibfehler zu ignorieren, wenn ich einen Text analysiere. Sie stören den Lesefluss, stehen dem Vergnügen genauso im Weg wie eine misslungene Formulierung. Daher merke ich jene an, auch wenn ich ein Lektorat mache; aber eben nicht nur diese.)
„Korrektorat ist immer ausreichend“
Zwischen Korrektorat und Lektorat wird meist streng getrennt. Welche Dienstleistung zur besseren Unterstützung beiträgt, hängt von vielen Faktoren ab. Manchmal kann ein Korrektorat ausreichend sein, manchmal greift es (viel) zu kurz. Ein Lektorat kann die Extrameile sein, die dazu beiträgt, bei Leser*innen die gewünschte Wirkung zu erzielen.
Möchte ich kompetent wirken, stehen korrekte Rechtschreibung und Grammatik wohl an oberster Stelle. Im wissenschaftlichen Kontext sind sie ebenso wichtig. Ein Lektorat ist in diesen Fällen vielleicht nicht mehr notwendig.
Geht es Ihnen um mehr als korrekte Sprachverwendung, bringt Sie ein Korrektorat nicht viel näher zum Ziel. Sie bieten Leser*innen ein hohes Niveau bei Rechtschreibung und Grammatik, was immer wichtig ist. Trotzdem kann es sein, dass der Funke bei Ihrem Roman oder Sachbuch, Ihrem Internetauftritt, nicht überspringt. Warum? Das kann viele Gründe haben. Ein Lektorat kann helfen, Potenzial zur Verbindung mit Leser*innen sichtbar zu machen, es auszuschöpfen. Sei es durch flüssigeren, abwechslungsreichen Stil oder spannenderen Aufbau, um nur einige wenige Beispiele zu nennen. Diese Möglichkeiten bleiben mit einem reinen Korrektorat verborgen. Ein Lektorat spürt sie auf.
„Lektor*innen gibt es ausschließlich im Verlag“
Das ist ganz leicht zu widerlegen. Fast zu leicht. Ja, Lektor*innen können in einem Verlag arbeiten. Viele bieten ihre Dienstleistungen aber unabhängig an. Das kann im beruflichen Kontext eine wichtige Rolle spielen. Oder eine passende Option für Autor*innen sein, die ihren eigenen Weg gehen möchten. Lektor*innen können mit ihrer Expertise aber ebenso schon beim Vorbereiten auf die Verlagssuche helfen, können Tipps fürs Exposé geben oder Ähnliches.
An den Mythos der Verlagsfesseln schließt sich eine weitere Einschätzung zum Lektorat an, die völliger Blödsinn ist. Totaler Humbug.
„Lektorat ist nur für Romane geeignet oder gar sinnvoll“
Natürlich kann ein Lektorat so einiges für einen Roman tun, um ihn bestmöglich für Leser*innen aufzubereiten. Dagegen ist nichts einzuwenden. Aber was ist mit anderen Textsorten? Sollten diese nicht ebenso gut lesbar sein (oder gar Lesevergnügen bereiten)? Unbedingt, möchte ich sagen, nein, eigentlich schreien. Bei Sachbüchern, Blogbeiträgen, Newslettern, der eigenen Internetpräsenz, Informationsflyern oder ähnlichen Texten können Sie ebenso von einem gründlichen Lektorat profitieren. Es kann ein wichtiges Element sein, Ihr persönliches Ziel mit Ihrem Text zu erreichen.
Warum? Ich versuche mich kurzzufassen … Ziele bei eigenen Text-Projekten können unterschiedlich sein. Trotzdem ist es immer wichtig, Verbindung zu Leser*innen aufzubauen. Nur so können Sie sie informieren, provozieren, ihnen Mut machen, sie zum Nachdenken anregen, sie begeistern, Sehnsüchte in ihnen wecken, sie unterhalten etc. – fügen Sie bitte Ihr persönliches Ziel ein, falls es noch nicht gelistet ist. Klarheit, Lesefluss, Struktur, Aufbau, Spannung, Emotionen und einige weitere Elemente sind zentrale Bausteine der Brücke. Ein Lektorat widmet sich genau diesen Aspekten, hilft, die Brücke zu Leser*innen zu festigen.
„Lektorat macht meinen Text kaputt, zerstört meine Stimme als Autor*in“
Woher kommt dieses Vorurteil bitte? Ein Lektorat ist kein Instrument, mit dem ein Text so aufgeschnitten und entstellt wird, dass die Stimme des Autors / der Autorin nicht mehr zu erkennen ist. Ein Lektorat kann das genaue Gegenteil sein. Lektor*innen tauchen in einen Text ein, spüren ihn. Gleichzeitig fühlen sie sich in die Position von Leser*innen ein und überprüfen, ob die Verbindung gut funktioniert, wie Passagen wirken. Wenn etwas den Lesefluss oder das Verständnis stört, dann machen Lektor*innen Vorschläge, wie die Stelle verändert werden könnte.
Damit ist das zentrale Stichwort gefallen: Vorschläge. Die Entscheidung, ob ein Vorschlag angenommen wird, liegt immer bei Autor*innen selbst. Wenn eine Idee stimmig ist, ist das natürlich super. Manchmal ist der konkrete Input von Lektor*innen erst einmal nur eine Hilfestellung, um eine andere Perspektive auf den Text zu bekommen. Daraus können sich wiederum eigene großartige Ideen entwickeln. Als Autor*in kann ich aber genauso einen Vorschlag aus dem Lektorat verwerfen, wenn er zwar professionell nachvollziehbar ist, das Bauchgefühl trotzdem dagegen spricht.
„Lektorat ist einseitig, Lektor*innen nur auf sich konzentriert und unnahbar“
Ja, am und mit dem Text arbeiten Lektor*innen allein. Das ist allerdings nur die Oberfläche, die gesehen wird. Ein Lektorat ist eigentlich eine Zusammenarbeit, wenn man die Brille mit der richtigen Sehstärke aufsetzt, die wirklich alles zeigt. Es ist ja nicht so, dass Lektor*innen von Autor*innen einfach einen Text ohne Kommentar hingeknallt bekommen. Ohne Informationen zum Projekt ist keine professionelle Arbeit möglich. Es soll aus einem Ratgeber schließlich kein Roman werden, oder? Oder aus einem seriösen Internetauftritt kein kabarettistisches Profil. Vielleicht wollte der Autor / die Autorin aber genau das … Riechen kann ich das als Lektor*in nicht …
Da dies kein Spaß-Essay ist, sollen die übertriebenen Beispiele nur illustrieren: Schon vorab ist ein Austausch zwischen Autor*in und Lektor*in wichtig. Informationen etwa zu Genre, Zielgruppe, Zielen oder auch besonderen Wünschen werden besprochen, gemeinsam. Obwohl ich nur von mir sprechen kann, vermute ich einmal, dass sich Lektor*innen nicht verschließen, wenn schon im Vorfeld oder während der Arbeit noch Fragen auftauchen. (Oder wenn das lektorierte Manuskript schon wieder in Händen des Autors / der Autorin ist.)
Vorschläge zur Änderung machen Lektor*innen zwar aus ihrer Expertise heraus, aber in enger Verbindung zu Autor*innen beziehungsweise deren Wünschen und Zielen. In enger Verbindung zum Text, zur Stimme dahinter. Sie nehmen ihre Änderungen nicht einfach aus der Luft, schreiben etwas Neues aus Jux und Tollerei. Und, auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Sie machen Vorschläge, die nicht in Stein gemeißelt sind.