Wohin mit meinem Buch? – Vier (4!) todschicke Tipps, Leser*innen Orientierung zu geben

Wohin denn mit diesem Erlebnisbericht dieses Sherpas?“, fragt eine Kollegin beim Einsortieren der Bücher am neuen Standort der kleinen, feinen städtischen Bücherei. Falls du es noch nicht weißt: Ich bin jetzt Teil des ehrenamtlichen Teams und habe beim Umsiedeln geholfen. Daher ist mein Beitrag autobiografisch gefärbt, aber keine Sorge, er ist nicht soooo intim. Und vielleicht spielt mir mein Gedächtnis ohnehin einen Streich und es war ein ganz anderes Buch, bei dem wir lange überlegt haben, wo wir es einsortieren sollten.

Beispiel fürs Entdecken von Lesestoff

Tja. Der Wahrheitsgehalt dieser Episode ist ohnehin wenig relevant, denn das Beispiel hat Symbolcharakter. Es verdeutlicht subtil, wie Leser*innen spannenden Lesestoff finden. In einer Bücherei, einem Buchgeschäft oder halt online. Und als Autor*in wünscht man sich vermutlich, dass es das eigene Buch ist, das entdeckt wird. Zumindest von den richtigen Menschen, im Fachjargon: der Zielgruppe. Denn dann kann es so richtig funken, Schmetterlinge im Tanz-Fieber inklusive.

Dieses Traum-Szenario muss kein Traum bleiben, wenn Leser*innen auf ihrer Suche Orientierung bekommen.

1. Ordnungsprinzip: Fiction versus Non-Fiction

Das Orientierungsprinzip schlechthin ist die klassische Trennung in Fiction und Non-Fiction, wie es auf Englisch so schön heißt. Das entspricht bekanntermaßen der Einteilung in Bücher mit fiktionalen, also zumindest zum Großteil erfundenen, Stoffen und in Sachbücher. Zumindest grob gesagt. Einige Subgenres lassen sich nicht mit hundertprozentiger Deckungsgleichheit einordnen. Aber warum ist der Versuch trotzdem so wichtig?

Da habe ich eine Frage: Werden Leser*innen in die Krimi-Ecke sprinten, wenn sie eine Biografie ihres heißen Film-Helden oder ihrer Lieblingssportlerin lesen möchten? Oder über Persönlichkeiten aus dem Musikbusiness? Obwohl nicht ausgeschlossen ist, dass in Lebensgeschichten bekannter Menschen jemand stirbt. Das erinnert mich etwa an den berühmten „Club 27“. Und trotzdem stehen der Tod und die Ermittlungen der Umstände nicht im Vordergrund. Zudem werden solche Bücher eigentlich nicht als reine Erfindung angepriesen, sondern eher als die (nackte) Wahrheit über XY beworben …

Böse Überraschungen vermeiden

Und noch eine Frage: Schon mal daran gedacht, dass Leser*innen eine böse Überraschung nicht erspart bleibt, wenn sie etwas anderes erwarten? Tja. Wenn sie etwa einen erotischen Liebesroman in der Ratgeber-Ecke finden und ihn unter dem Gesichtspunkt von Non-Fiction lesen, werden sie wahrscheinlich weniger mitnehmen können als erhofft. Eigentlich als erwartet. In der Schule wäre es eine Themenverfehlung beim Aufsatz, negative Beurteilung. In der Buchwelt könnte zumindest eine negative Rezension folgen, wenn der innere Vulkan noch brodelt. Und einen solchen Ausbruch … na ja, sollte man vielleicht vermeiden, denn er verfinstert positive Aussichten.

Die Trennung in Fiction und Non-Fiction ist eng an die Hoffnungen und Erwartungen von Bücherwürmern geknüpft. Dieser Gedanke ist – hoffentlich nicht überraschend – wichtig für Autor*innen und alle Personen, die möchten, dass Bücher von den richtigen Leser*innen gefunden werden. Also etwa auch in einer kleinen, feinen städtischen Bücherei.

2. Ordnung nach Genres

Auch mit diesem zentralen Aspekt erfinde ich das Rad nicht neu: die Einordnung in Genres. Das sind sozusagen die Arten, Unterarten und manchmal sogar Unterunterarten, die von den Bereichen Fiction und Non-Fiction entspringen. Klingt jetzt etwas poetisch, unabsichtlich. Eine Klassifizierung in Genres gibt Leser*innen wichtige Orientierungshilfe. Und, was nicht außer Acht gelassen werden sollte: Sie lenkt Erwartungen an ein Buch, weil sich Konventionen für Genres entwickelt haben. Nein, ein Buch muss nicht jedes Klischee erfüllen, sollte aber nicht gänzlich aus dem Rahmen fallen. So lässt es sich einordnen und Leser*innen können sich zumindest grob orientieren, was sie erwarten könnte. Beziehungsweise, ob es das ist, was sie gerade wollen.

PS: Wem diese skizzenhaften Überlegungen zum Thema Genre nicht genug sind, hat Glück. Es gibt da von mir so ein ABC …
Da gehe ich viel mehr ins Detail und stelle mehrere Genres kurz vor.

Fiktionale Genres findet man unter ABC der fiktionalen Genres.

Im Bereich der Non-Fiction gibt es ebenso einige spannende Unterarten: Genres Non-Fiction.

Kein Happy End bei zu vielen Leichen

Eigentlich spricht „Kein Happy End bei zu vielen Leichen“ für sich. Daher lassen wir jetzt alle unserer Fantasie freien Lauf. Und stellen uns ein Szenario vor, bei dem ein Buch mit zahlreichen Toten – also Bodycount wie im Hochspannungsthriller oder Horror(film) – falsch eingeordnet wurde, weil nicht genügend über das Genre nachgedacht wurde. Na eben!

3. Regionalität versus Universalität

Universalität ist ein großes Wort, vielleicht zu hoch gegriffen als Gegenpol zu Regionalität. Aber der Gedanke zählt, die Idee. Es gibt Geschichten (und Bücher allgemein), die weniger vom Schauplatz abhängig sind, und solche, die ihn auskosten. Da können Autor*innen selbst versuchen, die Platzierung zu gestalten, indem jene Aspekte betont werden. Außerdem gibt es Leser*innen, die sich für die Herkunft von Autor*innen interessieren. Darauf kann man aufbauen. Wenn man so in Buchhandlungen und Büchereien schaut, gibt es etwa oft einen eigens ausgewiesenen Platz für Werke heimischer Schriftsteller*innen. Ich bin versucht, zu sagen: ein Schaufenster – nicht unbedingt ein wortwörtliches – für patriotische Feinschmecker. In unserer kleinen, feinen Stadtbücherei gibt es ebenfalls ein Regal mit der Nationalflagge, um jene Bücher besonders anzupreisen.

Eine Platzierung, die sich an Regionalität orientiert, ist nicht garantiert, in der Präsentation nach außen kann sie zumindest nahegelegt werden. Jedenfalls ist das eine Überlegung, die man als Autor*in anstellen könnte.

Sprachbarrieren und Vorurteile

Sogar wenn ein und dieselbe Amtssprache vorherrscht, existieren Barrieren. Oder halt Vorurteile. Es gibt mitunter Leser*innen, die Wörter aus einem anderen geografischen und sprachlichen Raum triggern. Wörter, die sie – und ich befürchte, da gibt es keinen Euphemismus bei diesem Thema – nicht ausstehen können. Wird ein Krimi aus genau jener Region mit vielen solchen Ausdrücken ganz allgemein bei Spannung gefunden, ohne jeglichen Hinweis, dass viel Lokalkolorit vorkommt, kann ich es schon vor mir sehen. Vor meinem geistigen Auge entsteht ein Bild, wie beim Lesen die Backen rot werden, sich die Gesichtsmuskeln anspannen; bei manchen Leser*innen. Und das deutliche Augenrollen bei jeder Erwähnung von … (da kann man sich jetzt einen Begriff aussuchen, den man nicht hören und/oder lesen will!). Vielleicht werden auch die Augen leer und das Stirnrunzeln mehr. Nicht jede/r versteht etwa, was ein „Gspusi“ ist oder wann man genau „Patschen“ überhaupt tragen kann.

Schwierigkeiten beim Verständnis oder eben (nicht unbedingt angebrachte) Sprachvorurteile können das Lesevergnügen trüben, für Unmut sorgen. Versuchen Autor*innen, die Einordnung zu lenken, können sie Leser*innen besser informieren, ob die Sprache im Text etwas für sie sein könnte oder nicht. Natürlich funktioniert es auch umgekehrt: Manche sind offener oder tauchen äußerst gerne in etwas andere Sprachwelten ein.

4. Lesealter

Für wen schreibe ich, wen möchte ich ansprechen? Vielleicht sogar: Für welches Lesealter ist mein Buch überhaupt geeignet? In der Kinder- und Jugendliteratur ist es offensichtlich, dass angesprochen wird, ab welchem Alter ein Buch gut gelesen werden kann. Da geht es um Verständlichkeit der Sprache, aber auch um Verständlichkeit der behandelten Themen. Diese haben einen Einfluss für die Einordnung nach Lesealter. Die Einteilung ist meist viel genauer als bei Filmen mit der FSK-Bezeichnung, aber die Prinzipien dahinter sind wohl ähnlich. Altersgruppen bekommen in Bibliotheken oder Buchhandlungen jedenfalls im Regelfall einen eigenen Bereich. Genau, auch bei uns in der kleinen städtischen Bücherei.

Bei Büchern für Erwachsene gibt es in der Praxis kein „Ab-so-und-so-vielen-Jahren“-Schild. Da wird das Lesealter für die Platzierung nicht konkret verwendet. Manchmal fließt es aber subtil in die Präsentation ein. Und es kann auf jeden Fall relevant sein für die Zielgruppe des eigenen Buches. Daher lohnt es sich, darauf zu achten, ob man im Titel, Klappentext oder in anderen Informationen genügend Hinweise für eine indirekte Einordnung gibt. Das kann die Sprache sein oder sogar konkrete Erwähnungen. Oder etwas ganz anderes, das die Altersgruppe anspricht, die man mit dem eigenen Buch erreichen will.

Leser*innen nicht verwirren

Ein Gemetzel im romantischen Roman könnte Leser*innen vor den Kopf stoßen; da wäre es wohl besser gewesen, das Horror-Element für die Platzierung zu betonen. Das Kochbuch-Eck ist vielleicht auch kein passender Platz für eine Biografie einer bekannten Sängerin mit vereinzelten Rezepten. Ja, das sind Holzhammer-Beispiele, ich weiß. Trotzdem sollen Hinweise zur Einordnung Orientierung geben und nicht in die Irre führen, falsche Erwartungen wecken.

Richtige Leser*innen zum eigenen Buch lotsen

Denn genau jene Erwartungen färben die Herangehensweise von Leser*innen an ein Buch. Wissen sie vorab, ob es sich um Fiction oder Non-Fiction handelt, wissen sie schon einmal, woran sie sind. Mehr oder weniger halt. Der Wahrheitsgehalt von Memoiren, Biografien oder Autobiografien von berühmten Persönlichkeiten lässt sich schwer überprüfen. Aber der Anspruch, nicht rein erfundene Inhalte zu transportieren, gilt trotzdem. Ebenso spielen Faktoren wie Genres, Regionalität inklusive Sprache(n) und in manchen Fällen auch das Lesealter eine gewichtige Rolle für die Orientierung. Letzteres vor allem, aber nicht ausschließlich, bei Büchern für Kinder und Jugendliche. Ist die Zuordnung gut gelungen und stimmt mit den (vielleicht auch nur momentanen) Interessen überein, können Leser*innen schon besser entscheiden, ob ein Roman oder Sachbuch gerade zur eigenen Lese-Lust passt oder nicht.

Und als Autor*in kann man die Präsentation zumindest beeinflussen und Leser*innen Orientierungshilfe geben. Eine Art (Schatz-)Karte zum eigenen Buch für die Zielgruppe, möchte ich sagen.

PS und Exkurs:

Die Überlegungen zur bestmöglichen Einordnung können, wenn man sich mit einem Manuskript bei Verlagen bewerben möchte, ganz wichtig fürs Exposé sein. Denn auch Verleger*innen möchten sich vorab gut orientieren können, um zu entscheiden, ob ein Text zum Programm passen könnte.