Dialog-Sperre?-Schluss mit qualvollem Quasseln und impotenten Inquits!

Literarisches Repertoire für mehr Lebendigkeit in Dialogen

Was ist einer der wichtigsten Teile des menschlichen Lebens? Und warum ist das für Autor*innen spannend? Nein, es gibt kein Geld für die Antworten, sorry! PS: Die erste lautet Kommunikation und noch mal Kommunikation. Schön, keine Erkenntnis, die als Epiphanie gelten kann. Sie hat halt keine religiös-spirituell-bahnbrechenden Ausmaße. Trotzdem: Kommunikation macht Geschichten lebendig. (Zur Sicherheit: Das ist die Antwort auf die zweite Frage.)

Das Einbauen von Dialogen und anderen Formen von Kommunikation ist die Hölle? Hm. Weiß man, worauf man achten sollte und wie man mehr Logik und/oder mehr Leben in eine Geschichte bringen kann, ist man gut gerüstet. Ich versuche, das schriftstellerische Repertoire für Dialoge so praktisch wie möglich nachzuzeichnen. Also vor allem, wie man Leser*innen Orientierung geben kann, wer gerade spricht, ohne zu viel Leben und/oder Logik aus einer Geschichte zu saugen.

Inquits als Basis-Baustein von Dialogen

In Dialogen sind sie manchmal (aber nicht immer!) essenziell, diese kurzen Phrasen, die markieren, wer in diesem Moment etwas sagt: die sogenannten Inquits. Allerdings müssen wir Autor*innen aufpassen, dass wir sie nicht inflationär einsetzen. Sie sollten nicht überflüssig sein, die direkte Rede ergänzen, sie nicht schwächen. Außerdem gibt es zahlreiche Verben, die schlicht und ergreifend nicht für Inquit-Formeln geeignet sind. Niemals! Noch zu allgemein? Tja. Das Seil über den Abgrund der Dialoge sollte bald greifbarer, fester und sicherer werden, sich zu einer gut begehbaren Brücke verwandeln.

Die Tücken erzählter Kommunikation von Figuren

„Edward ist gegangen!“, weint Isabel äußerst bitterlich. (Vielleicht nicht nur die Figur im Buch.) Bis scharf- und zugleich feinsinnige Leser*innen ihr Unbehagen in vollständige Sätze fassen können, dauert es etwas. Zuerst muss abgewartet werden, bis der ganze Körper nicht mehr im Griff der übermächtigen Gefühle ist und von ihnen geschüttelt wird. Dann können wir Menschen uns wieder klar und verständlich ausdrücken. (Also Leser*innen für die Rezension formulieren, dass solche Beschreibungen einfach unlogisch sind und das Lese-Erlebnis erheblich trüben.)

Reality Check: Ja, ein paar Laute kommen beim Heulen vielleicht heraus. Manche weinen überhaupt still. Vielleicht machen sie – also wir Menschen, genauso wie die fiktiven Figuren – aber auch etwas ganz anderes. Wie das Buch auf das Nachtkästchen knallen und schlafen.

Dabei hat der Dialog spannend angefangen …
Mit ungeschickt platzierten oder gar unlogischen Inquits in Dialogen kann das Wohlwollen kluger Leser*innen schnell verloren gehen. Ja, es ist wichtig, dass man weiß, wer spricht. Wie so oft im Leben hat ein klares ABER nun seinen Auftritt. Kein Bösewicht im klassischen Sinn, einfach eine Erinnerung daran, was beim Schreiben von Dialogen nicht außer Acht gelassen werden sollte.

Gefahrenquelle Inquits

1) Inquits können Wortwiederholungen, die manchen Leser*innen lästig sind, produzieren, wenn sie oft notwendig sind und nicht variiert werden. Dazu später mehr!

2) Mitunter ziehen Inquits Adverbien oder noch ausführlichere Zusätze an. Wie das Licht Motten anzieht. Die Sätze werden dadurch komplex. Schauen originell und beeindruckend aus – an der Oberfläche. Wie unzählige Kerzen, riesige Maschen, Zuckerstangen, traditionelle Strohsterne, bunte LED-Lichter, schillernde Lamettafäden, glitzernde Tannenzapfen, durchsichtige und ganz, ganz viele glänzende Kugeln am Baum zu Weihnachten, den man vor lauter Deko nicht mehr erkennen kann. Oder zu viele Kürbisse, Spinnen, Katzen, Kerzen, Totenköpfe, Geister, Monster und so zu Halloween, die das gemütliche Zimmer verstecken. Eine Häufung von Adverbien und anderen Beschreibungen, die ein Inquit begleiten, nimmt der Kernaussage ihren Raum. Nein, damit möchte ich Dekoration nicht gänzlich verteufeln. Ich möchte nur darauf aufmerksam machen, dass man sich beim Schreiben in die Szenen einfühlen soll. Als Autor*in versuchen soll, zu spüren, welche Ausdrücke unbedingt notwendig sind, um die Kernaussage zu transportieren und sie nicht zu ersticken.

3) Manche Verben erweisen sich als Wölfe im Schafspelz, die die Logik auffressen. Ein krasses Bild, ja. Was ich damit illustrieren will: Viele Wörter, die Aktivitäten beschreiben, sind nicht geeignet, um Sprechen und Reden auszudrücken. Sie können jedenfalls nicht als Begleitung von klar artikulierten, verständlichen Sätzen dienen. Für eine ausführlichere Diskussion, Beschreibung und Sammlung von solchen gefährlichen, falschen Inquits bitte bei „Dialoge als fatale Fallen für Autor*innen“ nachlesen!

Getrennte Aktivitäten

Wir Menschen machen viel im Leben und einiges gleichzeitig. Das stimmt, ja. Wie schon angeklungen, brauchen wir jedoch ein bisschen Zeit, um uns von starken Emotionen oder physischen Anstrengungen zu erholen, bevor wir gewisse Tätigkeiten – Sprechen – wieder ganz ‚normal‘ ausführen können. Logisch (also authentisch), oder? Es kann mitunter umgekehrt vorkommen, dass wir gerade noch eine Erklärung abgeben können und erst dann überflutet werden. Ebenso okay, wenn die Aktivitäten getrennt beschrieben werden. Welche Reihenfolge stimmiger ist, müssen wir Autor*innen fühlen. Was passt besser zu einer Figur? Wie handelt sie? Wehrt sie sich gegen starke Emotionen, will sie nicht zeigen? Dann könnten zentrale Fragen oder Aussagen gerade noch über ihre Lippen kommen, bevor der Kampf verloren geht:
– „Warum, warum hat sie nichts gesagt?“ Die erste Träne, von vielen, rinnt über Brittas Gesicht.
Nein, das Beispiel ist nicht subtil, mag aber in der Situation und für die beschriebene Person stimmig sein.

Es kann ebenfalls vorkommen, dass man eine Figur schluchzend vorfindet, weil sie Emotionen zulässt und diese nicht verbirgt. Da braucht es eine Weile, bis sie wieder annähernd klar verbal kommunizieren kann:
– Fred weint in den Armen seiner Frau. (Anmerkung: Ja, dieser Punkt ist unbedingt notwendig, er gibt die Pause zur Erholung. Ein Doppelpunkt ist nicht ausreichend!) „Wie konnten sie mich nach so vielen Jahren einfach rausschmeißen? Wie konnten sie nur?“
(Wie reagiert Freds Frau darauf? Ja, das ist ein spontaner Kreativ-Impuls!)

Basis-Inquits versus Abwechslung

Wortwiederholungen sorgen für fehlende Abwechslung in Texten. Manche Leser*innen wünschen sich genau das Gegenteil. Da sind Dialoge, vor allem, wenn mehrere Figuren sprechen, eine Herausforderung. Ja, es gibt die Basis-Inquits „sagen“ und „fragen“. Manche Ratgeber und Schreib-Coaches sehen die Situation Schwarz-Weiß: Nur die Basis-Inquits sind großartig und reichen vollkommen aus. Es stimmt schon, sie sind so kurz, man kann sie leicht überlesen. Ihre Funktion, Sprecher*innen zu markieren, steht im Vordergrund. Sie stören den Lesefluss nicht, bremsen nicht und erfordern weniger Hirnschmalz von Leser*innen. Daher: Ja, die Basis-Inquits können (mit Maß und Ziel!) ruhig eingesetzt werden. Als Allheilmittel … na ja. Geschmackssache eben.

Denn ich sehe Grautöne, oder eigentlich Farben, in der Welt. Und muss zudem gestehen: Ich bin absolut kein Fan von Wortwiederholungen. Ja, ich lehne mich da ein bisschen aus dem Fenster …

Reality Check: Wenn ich Menschen oder mich selbst beobachte, sehe und höre ich mehrere Arten von verbalem Ausdruck, verschiedene Melodien, wechselnde Tonalität und Lautstärke. Daher spricht (für mich) nichts dagegen, Inquits zu verwenden, die über die Basisfunktionen Sagen und Fragen hinausgehen. Ebenso mit Maß und Ziel, um den Text nicht unnötig aufzublasen. Gezielt eingesetzt und stimmig können sie Leser*innen Abwechslung bringen. „Ich habe den Salat versteckt“, flüstert Mario plötzlich. Wieso sollte er auch nicht flüstern, wenn er seiner kleinen Schwester sein Geheimnis verrät, obwohl beide schon längst schlafen sollten?

Fokus auf direkter Rede

Emotionen können schon in die direkte Rede eingebaut werden. Dann müssen Inquits weniger transportieren oder werden obsolet. „N-nicht mit MIR, Rudi, nicht mit mir!“ Hier braucht Lotte (oder wer auch immer) nicht mehr unbedingt schreien, drohen, rufen oder sonst eine laute Sprech-Aktivität ausführen. Im Falle eines Gesprächs zwischen zwei Figuren ist sogar der Sprecher / die Sprecherin klar, wenn er/sie den Namen der anderen Person erwähnt.

An diesem groben Beispiel zeigt sich schon, dass Inquits nicht immer notwendig sind, ein sparsamer Einsatz Situationen lebendiger machen, das Tempo steigern kann. Vor allem bei Fragen oder Befehlen, die mit den jeweils korrekten Satzzeichen markiert sind, kann das dazugehörige Inquit wie ein Dekorationsstück zu viel wirken. Vielleicht braucht es das Fragen oder Befehlen gar nicht, wenn der Co-Text so gestaltet wird, dass der Sprecher / die Sprecherin klar herauskommt.

Showing der Reaktion und Folgeaktivitäten

Showing ist beim Schreiben immer ein gutes Stichwort. Zeichen, Körpersprache, konkrete Aktivitäten – die Möglichkeiten, wie wir agieren, dabei mit anderen kommunizieren, sind vielfältig. Das können wir Autor*innen in unsere Geschichten und vor allem in Dialoge einbauen. Zu zeigen, wie eine Figur reagiert, entfaltet mitunter mehr Ausdruckskraft und Wirkung als ein fades Inquit.

„Nein, echt jetzt?“ Suse lässt die Gabel mit dem letzten Bissen der Spaghetti Bolognese fallen. Sie könnte auch das Glas versehentlich umstoßen. Ihr Blick könnte sich verfinstern, sie könnte die Brauen hochziehen. Sie könnte ebenso ihre Lesebrille aus der Tasche ziehen, um das Bild des heißen Kerls genauer inspizieren zu können. Und, und, und.

Sie muss ihre direkte Rede nicht nur (auf)sagen, rufen oder kommentieren. Sie kann so viele andere kleinere Aktivitäten oder Körperbewegungen ausführen, die auf ihren emotionalen Zustand schließen lassen, ihn aber nur andeuten, statt zu beschreiben statt ihn zu erzählen (Tell). Ebenso mit Maß und Ziel.

Fazit:

Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, Sprecher*innen in Dialogen zu präsentieren und die Szenen gleichzeitig lebendig zu halten – das wird wiederum Leser*innen freuen. Kein einzelner Kunstgriff – vom stinknormalen Inquit, abwechslungsreichen Verben des Sagens, getrennter Verwendung anderer Aktivitäten über den Fokus auf Reaktionen ohne Inquit-Formel – ist allerdings das alleinige Erfolgsrezept. Ein Repertoire, also die bewusste Erinnerung an die unterschiedlichen Mittel, ist von unschätzbarem Wert. Denn wie so oft macht die Dosis das Gift. Zu viel funktioniert in den seltensten Fällen gut. Zu viele Inquits fühlen sich nicht stimmig an, zu viele Gesten auf einmal können Leser*innen ebenso irritieren.

Die Welt ist bunt. Und so können wir als Autor*innen Dialoge in unseren Geschichten gestalten.